Deutsche STI-Gesellschaft

In Memoriam

Professor Dr. Hans Wolf

Mit tiefer Trauer und großem Respekt nehmen wir Abschied von Professor Dr. Hans Wolf, der am 3.5.2024 im Alter von 79 Jahren verstorben ist. Mit seinem Tod verlieren wir nicht nur einen herausragenden Wissenschaftler und Lehrer, sondern vor allem einen geschätzten Kollegen und Freund.

Professor Dr. Hans Wolf war über Jahrzehnte hinweg eine prägende Persönlichkeit an der Universität Regensburg, wo er seit 1991 lehrte und forschte, und eine Größe in der deutschen und internationalen Forschungslandschaft. Geboren am 9.3.1945 in Kronach, führte ihn sein Weg über das Studium der Biologie und Chemie in Würzburg (1966-1970) zum damaligen Privatdozenten Dr. Harald zur Hausen am Institut für Virologie der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er folgte ihm als wissenschaftlicher Assistent an das Institut für Klinische Virologie an die Fridrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg. Nach seiner Promotion prägten ihn zwei Jahre Forschungsaufenthalt in Chicago, von wo er 1977 an das Max von Pettenkofer Institut der Ludwig-Maximilians-Universität nach München wechselte. Im Jahr 1980 folgte die Habilitation und 1981 die C2 Professur, 1991 der Ruf auf die C4 Professur für Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg. Ab April 1991 war er Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene und zuständig für die gesamte Mikrobiologie, Hygiene und Virologie.

Seine wissenschaftlichen Beiträge, insbesondere zum Epstein Barr Virus und zu HIV setzten international Maßstäbe und trugen wesentlich zum Fortschritt auf diesen Gebieten bei. Eines seiner ihm sehr wichtigen Forschungsvorhaben war die Entwicklung eines Impfstoffs gegen AIDS. Mit unermüdlichem Engagement veröffentlichte er zahlreiche wegweisende Publikationen in  renommierten Journalen wie Nature und war ein gefragter Redner auf internationalen Konferenzen. Seine Forschung wurde vielfach ausgezeichnet. Für seine Forschungskooperation mit China erhielt er beispielsweise im September 2004 den „Friendship Award“ – die höchste Auszeichnung Chinas für einen Ausländer – für 25 Jahre wissenschaftliche Zusammenarbeit im Kampf gegen AIDS und Krebs, überreicht durch den chinesischen Premierminister Wen Jiabao in Beijing. Der General-Direktor des Chinesischen Centers for Disease Control and Prevention war auch einer der ersten, der zum Tod von Prof. Wolf ein persönliches Beileidsschreiben an seine Familie schickte.

Aus seiner Forschung entstanden mehrere Patente zur Virusdiagnostik und mehrere Firmengründungen, die es ermöglichten, seine Forschungsergebnisse in die Praxis zu überführen. Er scheute sich nicht, sein privates Geld in die Forschung zu reinvestieren.

Professor Dr. Hans Wolf war nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, Unternehmer und Visionär, sondern auch ein leidenschaftlicher Lehrer. Seine Vorlesungen waren geprägt von Begeisterung und einer tiefen Liebe zum Fach, die er an seine Studierenden weitergab. Viele seiner ehemaligen Studierenden erinnern sich noch heute an seine inspirierenden Referate und schätzten ihn für seine Zugänglichkeit und die persönliche Unterstützung in ihrer Arbeit und Karriere.

Er setzte sich für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein und war ein Vorbild an Integrität und Menschlichkeit. Seine Kollegen und Kolleginnen schätzten ihn als freundlichen, hilfsbereiten und immer ansprechbaren Mentor, der stets ein offenes Ohr für ihre Anliegen hatte.

Persönlich bin ich ihm dankbar für seine Vision, Forschungsverbünde und internationale Kollaborationen zu schaffen. Insbesondere hat uns die gemeinsame Arbeit zur HIV-Forschung in Deutschland zusammengeführt, die er von seinen internationalen Kontakten profitieren ließ wie z.B. zum Howard Hughes Medical Institute in den USA oder zum Kreis japanischer HIV-Wissenschaftler. Prof. Wolf glaubte wie ich an die Wichtigkeit der Zusammenarbeit in der HIV-Forschung und engagierte sich für das Kompetenznetz HIV/AIDS, insbesondere als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Committees.

Fast so wie seine Wissenschaft begeisterte Prof. Wolf das Fliegen mit seinem Hubschrauber und das Motorradfahren. Unvergessen ist die Filmdokumentation des gelungenen Guinness-Buch Weltrekordes: Die größte menschliche Aids-Schleife der Welt beim 3. Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress 2007, in Frankfurt; die er aus seinem Hubschrauber filmte.

Wir werden Professor Dr. Hans Wolf in ehrender Erinnerung behalten und sein Vermächtnis in unserer Arbeit weitertragen.

Prof. Dr. N. H. Brockmeyer, Vorsitzender, DSTIG

Von Volkmar Sigusch lernen

Am 7. Februar 2023 ist der gegenwärtig immer noch bekannteste und weltweit anerkannte Sexualforscher Volkmar Sigusch im Alter von 82 Jahren verstorben. Allein die disziplinäre und institutionelle Bandbreite der kurz nach seinem Tod veröffentlichten Nachrufe zeugt von dem nachhaltigen Eindruck, den der Mediziner, Psychoanalytiker, Therapeut, Institutsleiter und Professor in der nicht nur sexualwissenschaftlich akademischen Szene hinterlassen hat.

Vieles zu seiner Biografie und beachtlichen wissenschaftlichen Karriere sowie den zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Interviewbeiträgen ist schon in öffentlichen Würdigungen erwähnt worden. Es lohnt sich, entweder erstmalig, mit Gewinn aber auch nochmals in das eine oder andere Werk hineinzulesen. Nicht nur wegen der der Inhalte, sondern auch wegen der sowohl klug-scharfsinnigen als auch essayistisch-metaphorischen Sprache. Ohne diese Besonderheit kann – so Siguschs Überzeugung – Sexualität nicht wirklich erfasst werden, weil sie sich als Objekt der wissenschaftlichen Begierde immer wieder dem sprachlichen Zugriff entzieht.

In jedem Fall hat Sigusch sowohl inhaltlich als auch sprachlich die sexualwissenschaftliche interessierte Szene gelegentlich polarisiert, manche Leser*innen auch verärgert, in jedem Fall intellektuell herausgefordert. Vielleicht lässt sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sexualität auch nicht anders gegen die Engstirnigkeit mancher szientifizierter einzelwissenschaftlicher Zünfte wie auch gegen selbsternannte Sexualexpert*innen behaupten, mit denen Sigusch Zeit seines Lebens zu kämpfen hatte. Nicht diese eigentümliche Brillanz des Ausdrucks, die originellen Wortschöpfungen und Sprachverliebtheit ihres Schöpfers sind es in erster Linie, was von Sigusch lernen ist. Sehr wohl aber vieles von seiner Haltung zur Sexualität und der Interdisziplinarität ihrer Erforschung.

Dazu gehören seine Ausführungen zu dem komplizierten und in sich widersprüchlichen Konstrukt ‚Sexualität‘, in dem unverfügbar Energetisches (Sigusch sprach vom Triebhaften) und gesellschaftlich Formiertes und Sozialisiertes amalgamiert ist. Zu den Ergebnissen dieses Versuchs, Sexualität zu definieren, gehört die weitgehend akzeptierte –  wenn auch, verglichen mit Siguschs Sprache, etwas blutleer klingende – Kennzeichnung von Sexualität als bio-psycho-soziale Einheit.

Ebenso unverzichtbar ist die Erkenntnis, dass von Sexualität letztlich nur im Plural, also von Sexualitäten, gesprochen werden kann. Diverse Erscheinungsformen gelten demnach nicht als Abweichung, soweit sie das Selbstbestimmungsrecht aller Beteiligten achten.

Das Individuelle mit dem Sozialen und Politischen zu verbinden bedeutet nach Sigusch, alle sexuell relevanten Phänomene immer wieder auf den ‚stummen Zwang der Verhältnisse‘ zu hinterfragen, ohne den potentiellen Eigensinn der Menschen aufzugeben, was im anglo-amerikanischen Diskursraum oft mit ‚sexueller Staatsbürgerschaft‘ konzeptualisiert wird.

Zu den Ergebnissen ‚biopolitischer‘ Machtkonstellation gehört die Heteronormativität der herrschenden Sexualkultur. Sie immer wieder zu dekonstruieren und die Diversität der Sexualitäten zur Entfaltung zu bringen, zählte Sigusch zu den vornehmsten Aufgaben der Sexualwissenschaft.

Die Befreiung der Lust kann dazu im wahrsten Sinne als Triebfeder gelten, die Sigusch in der Auseinandersetzung mit der psychologischen Motivationstheorie als „Loblied auf den Trieb“ inszenierte.

Um der neokapitalistischen Zurichtung des Sexuellen entgegenzuarbeiten, braucht es laut Sigusch neben einer schonungslosen politökonomischen Analyse der Liebe, weil sie selbst in unserer Kultur nicht so ohne weiters der Gewinnmaximierung unterworfen werden kann.

Sigusch sprach im Kontext von Sexualität ungern von Gesundheit, weil der Begriff in seinen Ohren noch zu sehr nach ‚Volkshygiene‘ klang. Dennoch ging er zunehmend dazu über, dem Liebes- und Sexualleben die Chance des Gesundheitsgewinns zuzusprechen, ohne das Gemeinte dabei allgemeinverbindlich zu definieren, geschweige denn zu verordnen.

Schon mit der Abwicklung des Frankfurter Instituts für Sexualwissenschaft, das Volkmar Sigusch von 1972 bis 2006 leitete, war Deutschland um eine zentrale sexualwissenschaftliche Forschungs- und Lehreinheit ärmer. Mit dem Tod ihres ‚Spiritus rector‘ verlor die deutsche Sexualwissenschaft einen Motor für sexualemanzipatorische Ansätze in der Wissenschaft. Deren Weiterentwicklung ist nun den bestehenden Instituten, Gesellschaften und Wissenschaftler*innen aufgegeben, die sich im weitesten Sinne mit Sexualität befassen.

Mit dieser Ausrichtung bleibt der gegenwärtigen Sexualwissenschaft die Aufgabe, an einer Sexualkultur zu mitzuarbeiten, die sich mit den Worten von Sigusch als „ars erotica“ qualifiziert.

Uwe Sielert
Deutsche STI-Gesellschaft –
Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit