Deutsche STI-Gesellschaft
In Memoriam

King K. Holmes, der Pionier der modernen STI-Forschung, ist gestorben
"King Holmes war einer der ideenreichsten und Maßstäbe setzenden Kliniker und Wissenschaftler bzgl. sexueller Gesundheit und STI. King Holmes war der Doyen unseres Faches, der nicht nur zukunftsweisend in ganzer Breite die Arbeiten zu STI in Nordamerika, sondern ebenso in Europa vorangetrieben hat." Norbert H. Brockmeyer
September 1, 1937 – March 9, 2025
Der Infektiologe King Kennard Holmes, MD, PhD, Professor of Medicine, der fast 6 Jahrzehnte an der University of Washington in Seattle tätig war und weltweit gewirkt hatte, ist im Alter von 87 Jahren gestorben.
King stammte aus dem amerikanischen Bundesstaat Minnesota. Er studierte Medizin an der Cornell University in New York und diente zunächst in der U.S. Marine in Pearl Harbor auf Hawaii als Epidemiologe. In dieser Zeit, Mitte der 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, war die unter den Soldaten grassierende Gonorrhoe das größte infektiologische Problem der amerikanischen Marine im West-Pazifik. King griff diese Problematik auf und machte sie zu seinem lebenslangen Forschungsgebiet, das sich im Laufe der Jahrzehnte auf viele weitere sexuell übertragbare Erreger und die damit verbundenen klinischen Syndrome ausweitete. Dazu gehörten Treponema pallidum, Chlamyda trachomatis, Mycoplasma genitalium, humane Papillomviren, Herpes simplex Viren und Hepatitis B Virus. Ab Anfang der 80er Jahre kam das humane Immundefizienzvirus hinzu.
Er untersuchte die Epidemiologie der unterschiedlichen klinischen Manifestationen der Gonorrhoe sowie die Penicillin-Resistenz von Neisseria gonorrhoeae und erwarb damit den PhD-Titel in Mikrobiologie an der Universität von Hawaii. King führte die ersten modernen klinischen Studien über asymptomatische und pharyngeale Gonorrhoe und disseminierte Gonokokkeninfektion durch. Er untersuchte damals schon die postexpositionelle Einmalgabe eines Antibiotikums zur Prävention der Gonorrhoe, ein heute wieder aktuelles Thema!
1969 bekam King eine Stelle in Seattle zunächst als Resident an der School of Medicine der University of Washington und wurde später nach intensiven Jahren Professor und Chief of Medicine am Harborview Medical Center der University of Washington. Von 2007 bis 2014 war er dann Chief des neu gegründeten Institutes für „Global Health“. In dieser Funktion arbeitete King sehr eng mit bilateralen und multilateralen Organisationen u. a. der WHO, CDC, NIH und der in Seattle ansässigen Gates Foundation zusammen.
Durch die Vermittlung von Detlef Petzoldt lernte ich 1981 als junger Immunologe King bei der 4. Tagung der International Society for STD Research (ISSTDR) in der Heidelberger Stadthalle kennen. Es folgten ein 1 jähriger Forschungsaufenthalt in Kings Labor in Seattle, das sich damals im 11. Stock der U.S. Public Health Service Hospitals befand. Im Labor wurde ich von allen Mitarbeitern mit offenen Armen aufgenommen. Im Laborflur hingen viele Porträtfotos von ehemaligen Mitarbeitern.
Denn King setzte sich besonders für die Ausbildung der insgesamt über 170 sowohl amerikanischer als auch internationaler Fellows and Trainees ein, was zusammen mit seinem enormen wissenschaftlichen Output zu seiner weltweiten Anerkennung als Leader der STI-Forschung führte. Forscher aus aller Welt trafen sich in Kings Labor um ihre Ideen und Hypothesen mit ihm und seinen Teams zu bearbeiten. Dabei vermochte King jedem Forscher das Gefühl seiner besonderen Wertschätzung zu vermitteln. Er sprühte selbst vor neuen Ideen, die jede Besprechung mit ihm zu einem besonderen Erlebnis machte. Eigentlich jeder Gesprächspartner, der King auch nur kurz begegnet ist, war durch seine persönliche Zugewandtheit, seinen feinen klugen Humor und seine immensen Fachkenntnisse beeindruckt.
Aus eigener dankbarer Erfahrung kann ich sagen, daß die Kombination von harter wissenschaftlicher Labor-Arbeit und persönlicher Freundschaft auf einen jungen Forscher enorm stimulierend wirkte. In keiner Phase meines Berufslebens wurde mit den Labor-MTAs, Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten so viel gemeinsam unternommen und gefeiert wie in meinem DFG-Jahr 1982/3 bei King in Seattle: bei Sportstadionbesuchen, Picknicks, Skiausfahrten, Lachsfischen und einem Segeltörn um die San Juan Islands.
King führte in Seattle nicht nur Fellows und Trainees zusammen sondern auch Vertreter vieler unterschiedlicher Disziplinen: Kliniker, Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens, Mikrobiologen, Virologen, Immunologen, Infektiologen, Epidemiologen, Soziologen und Verhaltensforscher, sowie auch Politiker und Sponsoring Organisationen. Neben King stand eine ganze Reihe von bereits arrivierten Wissenschaftlern, wie Larry Corey, David Eschenbach, Hunter Handsfield, Sharon Hillier, Ned Hook, Laura Koutsky, Joan Knapp, Sheila Lukehart, Christina Marra, Jeanne Marrazo, Walter Stamm, Jane Schwebke, Pat Totten und Judith Wasserheit, die bei Fragen immer sehr hilfsbereit waren und deren Arbeitsgruppen das riesige Gebiet der sexuellen Gesundheit insgesamt weit vorangebracht haben. Somit wurde die STI-Fürsorge und -Therapie für Menschen aller sexuellen Orientierungen und Gender auf allen Kontinenten enorm verbessert.
Mit seiner Unterstützung konnte 2001 die Weltkonferenz der Venerologie ISSTDR/IUSTI mit mehr als 1000 Teilnehmern aus über 60 Ländern und mit über 600 Abstrakts in Berlin stattfinden.
King publizierte mit seinen Arbeitsgruppen 548 peer-reviewte wissenschaftliche Artikel, 178 Buchkapitel, Editorials und Kommentare und 29 Bücher und Journal-Supplemente, die jeden Aspekt von STIs, HIV und anderen Infektionskrankheiten betrafen. Besonders bekannt ist sein detailreiches Standardwerk und selbst für erfahrene STI-Experten sehr nützliche Nachschlagewerk „Sexually Transmitted Diseases“ mit 2200 Seiten, das bisher in 4 Auflagen erschienen ist. Übrigens, der Titel seines allerersten Buches lautete: „How to have intercourse without getting screwed“, das er für seine Kinder schrieb, wie er einmal mit einem Schmunzeln sagte.
Kings weltweites Leadership, seine unerschöpfliche kreative Energie, sein umfangreiches Wissen gepaart mit seinem Sinn für unwiderstehlichen Humor haben das Leben zahlloser Menschen im positiven Sinne verändert und die Welt verbessert.
Im Juni 2025 fand an der University of Washington eine bewegende „Celebration of Live“ zu Ehren von King statt, an der seine Familie, Freunde, Kollegen und Weggefährten aus der ganzen Welt zusammenkamen (Link zum Video 1:44:42 Recording of Dr. King Holmes Celebration of Life | UW Center for AIDS and STD).
Die Deutsche STI Gesellschaft verneigt sich vor dem Menschen King K. Holmes und seinem Lebenswerk und wird sein Andenken in Ehren halten.
Peter K. Kohl, Udo Hoyme, Heidrun Nitschke, Susanne Buder, Heinrich Rasokat, Norbert H. Brockmeyer
Literatur:
- Handsfield H. H., Lukehart S. A., Hook E. W. III Leadership in sexually transmitted infections research and training: The legacies of King Holmes. STD 51 (9): 601-602.
- Wasserheit J., Lukehart S. In memoriam: King Holmes. UW Medicine/Department of Medicine/News March 9, 2025
- Gray L. In memory: world STD research pioneer Dr. King Holmes. UW Medicine/Newsroom/ News Releases March 9, 2025
- Takahama E. Dr. King Holmes, UW global health chair and pioneer in STI study, dies. Seattle Times March 14, 2025
- Engel M. Hot spot: How Seattle became the place for infectious diseases research. Publisher Mary Engel (2022)
- Holmes K. K., Sparling P. F., Stamm W. E., Piot P., Wasserheit J. E., Corey L., Cohen M. S., Watts D. H. (eds) Sexually Transmitted Diseases, McGraw-Hill Professional, 4th ed. (2007)
- Wear J., Holmes K.K. How to have intercourse without getting screwed. Madrona Publishers Seattle (1976)
King Holmes ist gestorben.
Die Nachricht erreicht mich während einer Videokonferenz, in der es um die Erfahrungen im Umgang mit sexuell übertragbaren Infektionen (STI) im öffentlichen Gesundheitsdienst geht. Es geht um die Gegenwart und Zukunft, um die Jahre des Umbruchs, die markiert sind vom Beginn der HIV-Epidemie. Es geht um das Infektionsschutzgesetz und seine Umsetzung, um die Kämpfe für einen wissenschaftlich fundierten und pragmatischen Umgang mit Sexarbeit. Es geht um Versorgung und Prävention, bei denen individuelle Menschenwürde und öffentliche Gesundheit keinen Gegensatz darstellen.
King Holmes lernte ich 1994 in Bolivien kennen. Ich hospitierte bei einer bolivianischen NGO, die versuchte, den Behörden zu vermitteln, dass niedrigschwellige medizinische und präventive Angebote die Ausbreitung von (damals noch) ST“D“ unter Sexarbeiterinnen und ihren Kunden verhindern können. Dabei nahm ich auch an einem mehrtägigen Projekt-Workshop teil, der begleitet wurde von einem aus den USA eingeflogenen „Gringo“. Nicht nur durch seine Größe, sondern vor allem durch Zugewandtheit, feinen klugen Humor und seine immensen Fachkenntnisse stellte Holmes einen beeindruckenden Gegensatz zu den dortigen Medizin- und Polizeibeamten dar. Denen ging es vor allem darum, die öffentliche Moral durch diskriminierende Kontrollen der Sexarbeitenden zu bewahren.
Holmes‘ Standardwerk „Sexually Transmitted Diseases“ (STD) hatte ich ein Jahr zuvor privat erworben. Die Mehrheit der deutschen Gesundheitsämter unterschied sich in der Geringschätzung des Themas und im diskriminierenden Umgang mit Frauen in der Sexarbeit nicht von ihren bolivianischen Kollegen. Diese mehr als 1100 Seiten haben mich jahrelang als Bibel durch meinen beruflichen Alltag als Gynäkologin im Gesundheitsamt begleitet. „Schlag nach im King Holmes“ hieß es für mich: Ob es um Daten zur pelvic inflammatory disease ging oder um Erregerbiologie und die Ausbreitungsdynamiken verschiedener STD-Erreger, ob um den Zusammenhang von HIV mit anderen STI oder um das bis heute vernachlässigte Thema Anamnese und Syndromic Management – für alles fanden sich kluge Aufsätze. Dazu kamen wunderbar selbsterklärende und meist humorvolle Grafiken sowie jede Menge Belege aus peer reviewed Publikationen weltweit. Wer erinnert sich noch daran, wie schwer es war, datenbasiert in Deutschland die Behandlung der Syphilis mit Depotpenicillin durchzusetzen – gegen das noch bis in die 2010er Jahre übliche Regime der täglichen Injektionen, das gerade bei Menschen in prekären Lebensumständen nie funktionierte? Oder an die geniale Kaskade der Bedingungen für die erfolgreiche Elimination einer Chlamydieninfektion aus einer Partnerschaft?
Es hat lange gedauert, bis die Erkenntnisse von King Holmes auch in Deutschland ankamen. Noch längst nicht alles ist Mainstream und vieles ist noch (oder wieder) fragil, nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. Die „STD-Bibel“ wurde leider seit 2007 nicht erneut aufgelegt. Als Nachschlagewerk und als Lektüre selbst für erfahrene STI-ExpertInnen lohnt sie aber immer noch. Und es lohnt, sich an den „großen King Holmes“ zu erinnern.
RIP
Heidrun Nitschke
Nachruf auf Herrn Privatdozent Dr. med. Hans Ikenberg
20.5.1954 – 19.09.2024, verfasst von Gerd E. Gross
Privatdozent Dr. Hans Ikenberg, erfahrener und geschätzter Gynäkologe, über 19 Jahre Gesellschafter und stellvertretender Geschäftsführer des MVZ für Zytologie und Molekularbiologie Frankfurt GbR (CytoMol) ist unerwartet im Alter von 70 Jahren am 19.September 2024 in Frankfurt am Main verstorben. Im Rahmen seiner langjährigen klinischen, wissenschaftlichen und labormedizinischen Tätigkeit hat er eine wesentliche Rolle in der gynäkologischen Krebsvorsorge eingenommen.
Hans Ikenberg wurde am 26.05 1954 in Würzburg geboren. Er ging dort zur Schule und besuchte das humanistische Wirseberg-Gymnasium. Das Studium der Humanmedizin erfolgte an den Universitäten Würzburg, Caen (Frankreich, Austauschstipendium) und München (technische Universität). Nach der Approbation zum Arzt 1980 und Promotion 1983 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Virologie der Universität Freiburg im Breisgau und am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (Papillomvirus Arbeitsgruppe, Prof. H. zur Hausen, späterer Nobelpreisträger) in den Jahren 1982- 1984 tätig.
Seine gynäkologische und geburtshilfliche Ausbildung erhielt er unter Herrn Prof. Dr. H.-G. Hillemanns Univ. Frauenklinik Freiburg im Breisgau, wo er sich auch habilitierte und anschließend bis 2000 als Oberarzt tätig war. In den Jahren 2000 – 2005 war er Mitglied der fachübergreifenden, überörtlichen Ärztepartnerschaft Frauenärzte in Bad Münder/Hannover/Göttingen. Im Anschluss daran, ab 2005, war er Gesellschafter und Geschäftsführer des MVZ für Zytologie und Molekularbiologie Frankfurt GbR (CytoMol).
Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt lag im Bereich der Zytologie und der klinisch orientierten Molekularbiologie. Eine besonders große Bedeutung hatte für ihn die Erforschung der Humanen Papillomviren (HPV) bei der Entstehung des Zervixkarzinoms und Vorgängerläsionen. Sein Ziel war die Verbesserung der Früherkennung dieses häufigen malignen Tumors. Mit vollem Engagement hat er sich bei der Erarbeitung hochaktueller Leitlinien eingebracht und zusammen mit zahlreichen Klinikern und Wissenschaftlern die Versorgung der Patientinnen und die Krebsvorsorge mittels der neu entwickelten HPV-Impfung nachhaltig verbessert. Dabei handelt es sich einerseits um die AWMF S3-Leitlinie „Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien“¹¹, die unter Leitung des HPV-Management Forums, einer Arbeitsgruppe der Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG) und zahlreicher klinisch – wissenschaftlicher Gesellschaften wie DDG, DGGG, DGU und DSTIG u.v.a. entstanden ist und 2020 überarbeitet wurde.
Als Nominierter der DSTIG leistete er andererseits wesentliche Unterstützung bei der Abfassung der AWMF S3 Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ der DGGG und zahlreicher anderer Gesellschaften.
An dieser Stelle soll auch Erwähnung finden, dass Hans Ikenberg auf einem ganz anderen Gebiet große Aufmerksamkeit erwerben konnte. Mit dem enthusiastischen Studium des Französischen und Schweizerischen Juragebiets erstellte er sehr lesenswerte Reiseberichte unter anderem in Buchform. Dabei brachte er auch sehr prägnant das Juraweinland zur Sprache.
Mit dem Tod von Hans Ikenberg haben wir nicht nur einen sehr engagierten Wissenschaftler und Arzt, sondern auch einen geschätzten Kollegen und guten Freund verloren. Er hat sich große Verdienste um HPV in der Gynäkologie, insbesondere bei der Diagnostik und der Prävention des Zervixkarzinoms erworben. Dabei hat er die Krebsvorsorge mittels seiner Beteiligung an der Entwicklung des HPV-Impfstoffes eindrucksvoll mit verbessert.
Gerd E.Gross, Wrestedt, April 2025
Literatur:
- ¹Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Infektionstherapie e.V. (PEG) Leitlinienkoordinatoren: Prof. em. Dr. Gerd E. Gross, Prof. Dr. med. Ulrike Wieland, PD Dr. med. Ricardo N. Werner et al. AWMF S3-Leitlinie „Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien“, überarbeitete Version 4.0 vom 01.05.2020, Verfügbar unter: (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/082-002), Abgerufen am 14.04.2025.


Professor Dr. Hans Wolf
Mit tiefer Trauer und großem Respekt nehmen wir Abschied von Professor Dr. Hans Wolf, der am 3.5.2024 im Alter von 79 Jahren verstorben ist. Mit seinem Tod verlieren wir nicht nur einen herausragenden Wissenschaftler und Lehrer, sondern vor allem einen geschätzten Kollegen und Freund.
Professor Dr. Hans Wolf war über Jahrzehnte hinweg eine prägende Persönlichkeit an der Universität Regensburg, wo er seit 1991 lehrte und forschte, und eine Größe in der deutschen und internationalen Forschungslandschaft. Geboren am 9.3.1945 in Kronach, führte ihn sein Weg über das Studium der Biologie und Chemie in Würzburg (1966-1970) zum damaligen Privatdozenten Dr. Harald zur Hausen am Institut für Virologie der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er folgte ihm als wissenschaftlicher Assistent an das Institut für Klinische Virologie an die Fridrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg. Nach seiner Promotion prägten ihn zwei Jahre Forschungsaufenthalt in Chicago, von wo er 1977 an das Max von Pettenkofer Institut der Ludwig-Maximilians-Universität nach München wechselte. Im Jahr 1980 folgte die Habilitation und 1981 die C2 Professur, 1991 der Ruf auf die C4 Professur für Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg. Ab April 1991 war er Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene und zuständig für die gesamte Mikrobiologie, Hygiene und Virologie.
Seine wissenschaftlichen Beiträge, insbesondere zum Epstein Barr Virus und zu HIV setzten international Maßstäbe und trugen wesentlich zum Fortschritt auf diesen Gebieten bei. Eines seiner ihm sehr wichtigen Forschungsvorhaben war die Entwicklung eines Impfstoffs gegen AIDS. Mit unermüdlichem Engagement veröffentlichte er zahlreiche wegweisende Publikationen in renommierten Journalen wie Nature und war ein gefragter Redner auf internationalen Konferenzen. Seine Forschung wurde vielfach ausgezeichnet. Für seine Forschungskooperation mit China erhielt er beispielsweise im September 2004 den „Friendship Award“ – die höchste Auszeichnung Chinas für einen Ausländer – für 25 Jahre wissenschaftliche Zusammenarbeit im Kampf gegen AIDS und Krebs, überreicht durch den chinesischen Premierminister Wen Jiabao in Beijing. Der General-Direktor des Chinesischen Centers for Disease Control and Prevention war auch einer der ersten, der zum Tod von Prof. Wolf ein persönliches Beileidsschreiben an seine Familie schickte.
Aus seiner Forschung entstanden mehrere Patente zur Virusdiagnostik und mehrere Firmengründungen, die es ermöglichten, seine Forschungsergebnisse in die Praxis zu überführen. Er scheute sich nicht, sein privates Geld in die Forschung zu reinvestieren.
Professor Dr. Hans Wolf war nicht nur ein brillanter Wissenschaftler, Unternehmer und Visionär, sondern auch ein leidenschaftlicher Lehrer. Seine Vorlesungen waren geprägt von Begeisterung und einer tiefen Liebe zum Fach, die er an seine Studierenden weitergab. Viele seiner ehemaligen Studierenden erinnern sich noch heute an seine inspirierenden Referate und schätzten ihn für seine Zugänglichkeit und die persönliche Unterstützung in ihrer Arbeit und Karriere.
Er setzte sich für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein und war ein Vorbild an Integrität und Menschlichkeit. Seine Kollegen und Kolleginnen schätzten ihn als freundlichen, hilfsbereiten und immer ansprechbaren Mentor, der stets ein offenes Ohr für ihre Anliegen hatte.
Persönlich bin ich ihm dankbar für seine Vision, Forschungsverbünde und internationale Kollaborationen zu schaffen. Insbesondere hat uns die gemeinsame Arbeit zur HIV-Forschung in Deutschland zusammengeführt, die er von seinen internationalen Kontakten profitieren ließ wie z.B. zum Howard Hughes Medical Institute in den USA oder zum Kreis japanischer HIV-Wissenschaftler. Prof. Wolf glaubte wie ich an die Wichtigkeit der Zusammenarbeit in der HIV-Forschung und engagierte sich für das Kompetenznetz HIV/AIDS, insbesondere als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Committees.
Fast so wie seine Wissenschaft begeisterte Prof. Wolf das Fliegen mit seinem Hubschrauber und das Motorradfahren. Unvergessen ist die Filmdokumentation des gelungenen Guinness-Buch Weltrekordes: Die größte menschliche Aids-Schleife der Welt beim 3. Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress 2007, in Frankfurt; die er aus seinem Hubschrauber filmte.
Wir werden Professor Dr. Hans Wolf in ehrender Erinnerung behalten und sein Vermächtnis in unserer Arbeit weitertragen.
Prof. Dr. N. H. Brockmeyer, Vorsitzender, DSTIG
Von Volkmar Sigusch lernen
Am 7. Februar 2023 ist der gegenwärtig immer noch bekannteste und weltweit anerkannte Sexualforscher Volkmar Sigusch im Alter von 82 Jahren verstorben. Allein die disziplinäre und institutionelle Bandbreite der kurz nach seinem Tod veröffentlichten Nachrufe zeugt von dem nachhaltigen Eindruck, den der Mediziner, Psychoanalytiker, Therapeut, Institutsleiter und Professor in der nicht nur sexualwissenschaftlich akademischen Szene hinterlassen hat.
Vieles zu seiner Biografie und beachtlichen wissenschaftlichen Karriere sowie den zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Interviewbeiträgen ist schon in öffentlichen Würdigungen erwähnt worden. Es lohnt sich, entweder erstmalig, mit Gewinn aber auch nochmals in das eine oder andere Werk hineinzulesen. Nicht nur wegen der der Inhalte, sondern auch wegen der sowohl klug-scharfsinnigen als auch essayistisch-metaphorischen Sprache. Ohne diese Besonderheit kann – so Siguschs Überzeugung – Sexualität nicht wirklich erfasst werden, weil sie sich als Objekt der wissenschaftlichen Begierde immer wieder dem sprachlichen Zugriff entzieht.
In jedem Fall hat Sigusch sowohl inhaltlich als auch sprachlich die sexualwissenschaftliche interessierte Szene gelegentlich polarisiert, manche Leser*innen auch verärgert, in jedem Fall intellektuell herausgefordert. Vielleicht lässt sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sexualität auch nicht anders gegen die Engstirnigkeit mancher szientifizierter einzelwissenschaftlicher Zünfte wie auch gegen selbsternannte Sexualexpert*innen behaupten, mit denen Sigusch Zeit seines Lebens zu kämpfen hatte. Nicht diese eigentümliche Brillanz des Ausdrucks, die originellen Wortschöpfungen und Sprachverliebtheit ihres Schöpfers sind es in erster Linie, was von Sigusch lernen ist. Sehr wohl aber vieles von seiner Haltung zur Sexualität und der Interdisziplinarität ihrer Erforschung.
Dazu gehören seine Ausführungen zu dem komplizierten und in sich widersprüchlichen Konstrukt ‚Sexualität‘, in dem unverfügbar Energetisches (Sigusch sprach vom Triebhaften) und gesellschaftlich Formiertes und Sozialisiertes amalgamiert ist. Zu den Ergebnissen dieses Versuchs, Sexualität zu definieren, gehört die weitgehend akzeptierte – wenn auch, verglichen mit Siguschs Sprache, etwas blutleer klingende – Kennzeichnung von Sexualität als bio-psycho-soziale Einheit.
Ebenso unverzichtbar ist die Erkenntnis, dass von Sexualität letztlich nur im Plural, also von Sexualitäten, gesprochen werden kann. Diverse Erscheinungsformen gelten demnach nicht als Abweichung, soweit sie das Selbstbestimmungsrecht aller Beteiligten achten.
Das Individuelle mit dem Sozialen und Politischen zu verbinden bedeutet nach Sigusch, alle sexuell relevanten Phänomene immer wieder auf den ‚stummen Zwang der Verhältnisse‘ zu hinterfragen, ohne den potentiellen Eigensinn der Menschen aufzugeben, was im anglo-amerikanischen Diskursraum oft mit ‚sexueller Staatsbürgerschaft‘ konzeptualisiert wird.
Zu den Ergebnissen ‚biopolitischer‘ Machtkonstellation gehört die Heteronormativität der herrschenden Sexualkultur. Sie immer wieder zu dekonstruieren und die Diversität der Sexualitäten zur Entfaltung zu bringen, zählte Sigusch zu den vornehmsten Aufgaben der Sexualwissenschaft.
Die Befreiung der Lust kann dazu im wahrsten Sinne als Triebfeder gelten, die Sigusch in der Auseinandersetzung mit der psychologischen Motivationstheorie als „Loblied auf den Trieb“ inszenierte.
Um der neokapitalistischen Zurichtung des Sexuellen entgegenzuarbeiten, braucht es laut Sigusch neben einer schonungslosen politökonomischen Analyse der Liebe, weil sie selbst in unserer Kultur nicht so ohne weiters der Gewinnmaximierung unterworfen werden kann.
Sigusch sprach im Kontext von Sexualität ungern von Gesundheit, weil der Begriff in seinen Ohren noch zu sehr nach ‚Volkshygiene‘ klang. Dennoch ging er zunehmend dazu über, dem Liebes- und Sexualleben die Chance des Gesundheitsgewinns zuzusprechen, ohne das Gemeinte dabei allgemeinverbindlich zu definieren, geschweige denn zu verordnen.
Schon mit der Abwicklung des Frankfurter Instituts für Sexualwissenschaft, das Volkmar Sigusch von 1972 bis 2006 leitete, war Deutschland um eine zentrale sexualwissenschaftliche Forschungs- und Lehreinheit ärmer. Mit dem Tod ihres ‚Spiritus rector‘ verlor die deutsche Sexualwissenschaft einen Motor für sexualemanzipatorische Ansätze in der Wissenschaft. Deren Weiterentwicklung ist nun den bestehenden Instituten, Gesellschaften und Wissenschaftler*innen aufgegeben, die sich im weitesten Sinne mit Sexualität befassen.
Mit dieser Ausrichtung bleibt der gegenwärtigen Sexualwissenschaft die Aufgabe, an einer Sexualkultur zu mitzuarbeiten, die sich mit den Worten von Sigusch als „ars erotica“ qualifiziert.
Uwe Sielert
Deutsche STI-Gesellschaft –
Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit